ausstellung
transistor_transformer
Text, David Komary
Galerie Dreizehnzwei
Künstler: Michael Höpfner, Dariusz Kowalski
Ausstellungskonzeption: David Komary
Server Rooms
Videoprojektion
Loop 10‘Min, A 2006
„Untersucht man also das Gedächtnis der Gesellschaft, lässt sich dieses nicht anhand einer bestimmten unveränderlichen Menge von Zeichen, Texten oder Artefakten festmachen, sondern ausschließlich an den jeweils aktuell ablaufenden Operationen des Systems, die nachträglich die eigene Autopoiesis beobachten.”1
In Referenz zur Ausstellung ´animated from a distance´ (2004) konfrontiert ´transistor-transformer´ zwei formal-ästhetisch und konzeptionell auf den ersten Blick explizit konträre Positionen, die nun das Örtliche, genauer, die Erinnerung/Erinnerbarkeit des Ortes in Bezug zum Medialen (Gedächtnis), dem Medialen der Archive (Virtualität), sowie in Bezug zum Subjet (Blick) verhandeln.
Gemeinsames Moment beider künstlerischen Ansätze bildet die Idee, die Denkfigur der Reise. ´Reise´ meint hier, nun eingangs noch sehr allgemein formuliert, aktuell-physische wie auch imaginär-mentale Reise. Die vereinfachte These könnte lauten: adressiert die Reise nicht von jeher weniger den Ort, der bereist, (auf)gesucht, begangen werden soll als realiter das/ein begehrliches Bild eines Ortes, sein Imago? Dieses ´Imaginäre´ des Örtlichen figuriert somit stets auch zugleich (s)ein Mediales, meint zugleich stets auch sein mediales ´Vor-Bild´. Das Mediale bildet sich ab als eine invertierte Erinnerung, in Form einer nach vorwärts-erinnerten Projektion des mentalen Projektors (Begehren), die dem ´aktuell´ wahrgenommenen Bild des Ortes stets konstitutiv vorangeht.
Wie formuliert sich nun aktuell Erinnerung, wie konstituieren sich Makro wie Mikrogeschichte(n) im wechselseitigen Bezug zum Medialen, zum – heute digital – textuierten Archiv. In welcher Weise sind die Verfahren des Speicherns und der Prozess des Erinnerns hinsichtlich einer Universalisierung des Speichermodells ineinander verschränkt. Das (binäre) System bildet somit das Mittel, das Mittlere: das Medium zwischen Archiv und Erinnerung, eine Schnitt- und Schaltstelle, einen Transistor (Speicher) und zugleich einen Transformator (Wandler).
Im Weiteren soll es jedoch nicht um eine (Re-)Formulierung, eine Rettung einer Subjektivität jenseits der Medien gehen, denn von jeher (spätestens seit der Etablierung des Schriftcodes) bezieht sich Erinnerung auf Formen der Aufzeichnung, des Einschreibens, der Lagerung und der Speicherung. Ebenso fundiert die Zeitlichkeit der Archive stets auf einer Form der Virtualität, auf der Konstruktion einer virtuellen Zeitlinie, formuliert entlang und mittels einer Abfolge von in archivische Bilder und Daten transformierte/trans-ponierte Objekte und Ereignisse.
In diesem Sinn konstituiert sich jedes Erinnern medial, ist auf ein Medium angewiesen. So gesehen kann „Erinnern auch nicht als ein Zurückholen von Vergangenheit betrachtet werden, denn das würde die Reversibilität von Zeit implizieren. Erinnern ist immer ein vom System hervorgebrachtes gegenwärtiges Ereignis und hat als aktuelle Sinnproduktion mit Vergangenheit nur so viel zu tun, als es an Schemata oder Strukturen vergangener Erfahrungen anknüpft. Somit ist Erinnern immer ein gegenwärtiges Erinnern, das in jeder Gegenwart eine neue Vergangenheit entwirft.”2
Interessanter als die Medialität, welche die Mneme einlagert und organisiert, erscheint diesen Überlegungen folgend also die Re-Lektüre der Bilder des Vergangenen, also, wie die Bilder für das Subjekt anschlussfähig sind. Eine derartige Konzeption des Bildes denkt dieses als ein ´Ensemble von offenen Dispositiven´3, als offen texturierte Konzepte, betrachtet Bilder nicht als diskrete Systeme, denen ein bestimmter Vergangenheitsbezug implizit wäre, sondern als Magazin(e) polyvalenten Anschlusses. Die Referenz wird quasi im mentalen Apparat des Betrachters mittels einer prozessualen, einer projektiven Erinnerungsleistung verfasst. Der Referent liegt dann eben nicht (mehr) im Abgebildeten, sondern in der (Re-)Lektüre, in der (Neu-)Verkettung, in der Erwartung an das nächste Bild.
In beiden künstlerischen Positionen wird das Moment, die Funktion der Erinnerung einerseits radikal dekonstruktiv gedacht – dies in Form einer Arretierung und Deformation narrativer Funktion – andererseits als erneute Synthese (re-)fromuliert. Man findet somit zugleich Momente der De- wie der Rekonstruktion eines ´Vergangenheitsbezugs´, der „modernen Ahnung folgend, dass Bedeutung, Form und Kohärenz von Ereignissen eine Funktion ihrer Narrativisierung sind”.4
Beide Künstler operieren zudem mit einer Nivellierung der ästhetischen Differenz, inszenieren eine Insignifikanz bezüglich des ´referierten´ Orts. Dem zu Grunde liegt ein Zweifel an der Idee der Spur, am ´objektiven´, fotografisch- indexikalischen Verweis der Bilder auf ein Äußeres/Vergangenes , einem Verweis auf ein zeitliches- und örtliches Anderswo . Bilder gelten hier somit nicht einfach als Registratur des Vergangenen Wirklichen, sie sind keine „Enthüllung oder Widerspiegelung (…), sie ist eine sorgfältige Konstruktion, eine Intervention in die Politik und die Semiotik der Repräsentation.”5
[…]
In ´server rooms´ von Dariusz Kowalski bildet sich mediatisierte Erinnerung, das Mediale des Archivs in sich selbst ab, Ursache und Wirkung fallen zusammen. Der Bilderwerfer, hier das Netz (Web), ist zugleich der ´Ort´ der Beobachtung (der Beobachtung). Kowalski montiert Einzelbilder, im Genaueren Web-Downloads von Live-streaming Webcams erneut zu einem filmischen Kontinuum. Zu ´sehen´ sind: Ansichten von Server-Räumen, also Festspeicher-Zentralen unterschiedlichster topografischer Referenz. Man sieht monolithische Server/Quader-Konstellationen minimalistischer Ästhetik, architektonische Figurationen und Repräsentationen von Macht und Kontrolle.
Die ´Kameraposition´ in Kowalkis appropriiertem ´Film´ folgt einer Rhetorik der Überwachung, der Blickpunkt ist stets supervisiv, ein mastering eye, dessen Bilder mittels Webcam und Web auf ´Reisen´ geschickt werden.
Der ursprünglich zu Überwachungszwecken installierte ´Film´ erscheint in seiner medialen Transformation und Transmission via Web geradezu dysfunktional. Er rekurriert auf ´Nirgendwo´. Jegliche topografisch-piktorale Referenz verläuft im Leeren, mündet im Systemraum der (digitalen) Archive. Diese Übertragung der Übertragung lässt „die telematischen Systeme buchstäblich als Raum ohne Ort erscheinen: ohne rekonstruierbare Orte einer Authentizität”15. Was neben der Kategorie des Örtlichen, des Topos verloren geht, ist zudem die „Verbindung von Visuellem und Visieren, der Blick ist einem automatischen Sehen ausgeliefert, einem Sehen ohne Blick (Virilio), das von den unzähligen Kameraaugen exekutiert wird und das in einem bloßen Verarbeiten optischer Daten besteht”16. Virilio spricht von „instrumental erzeugten virtuellen Bildern, die einer direkten oder indirekten Beobachtung nicht mehr zugänglich sind, von (…) synthetischen Bildern, die von der Maschine für die Maschine hergestellt werden”17. Die aus der Aneinanderreihung der Einzelbilder resultierende, suggerierte Zeitlinie rekurriert hierbei also nicht (mehr) auf ein ´Reales´, sondern auf die Anordnung und Reihung der Bilder im System, im Netz, auf deren systemische Grammatik. Diesem Gedanken folgend sind die montierten Videosequenzen dann auch mehr ein Register denn eine Narration.
Die Verschiebung der Pixel, die beinahe einzige merkliche Veränderung in Kowalsiks ´Einstellungen´ verweist somit auch weniger auf die niedrige Auflösung der Bilder als auf die erneute, manuelle Reihung der Downloads, im Genaueren auf die zeitlichen Lücken entsprechend der ´Frequenz´ des manuellen Downloads des Künstlers. Diese Lücken markieren in Form kaum/nicht sichtbarer und lesbarer Spuren die subjektive Auswahl und Bild-Reihung Kowalskis. Das Wissen über die Lücken zwischen den zum Video verdichteten Exzerpten lässt einen inversen, einen imaginär-invertierten Film denken. Es wäre dies ein Film der absenten Bilder und der Lücken, eine Kette medialer Auslassungen und Absenzen. In dem Sinn formuliert Kowalski eine Topografie der medialen Nicht-Orte sowie zugleich des systemischen Offs, des Medial-Unheimlichen, verweist auf den ´Riss im Informationskontinuum´, auf jene (Speicher-)Orte, die das Medium ausspart, welche es nicht (mehr) zu zeigen in der Lage ist.
Kowalski zeigt, wie oben bereits angedeutet, abstrahierte Medialität und Dispositivität im Doppel: Archiv und Überwachung. Der Künstler fragt somit im Weiteren nach der Ordnung des Wissens, die das Archiv installiert. Er analysiert die mediale Textur des Archivapparats, fragt also nach dem Raum des Archivs, seiner Fiktion.18
Für Foucault ist das Archiv weder die Summe aller überlieferten Dokumente noch die Institution ihrer Überlieferung19, sondern das System, welches das Auftauchen sowie das weitere Funktionieren der Aussagen regiert. Das mnemotechnische Regime heißt heute: Kybernetik. Die medialen Grammatiken, welche die ´Ordnung der Dinge´ in ihrer Produktion selbst steuern, bedeuten somit aktuell nicht bloß mediale Verwaltung im Sinne der Speicherung mittels neuer Medien, sondern indizieren ein generatives, ein prozessuales Moment: das Überformen, ein Überschreiben des Realen via kybernetisch-administrativem Feedback auf das kollektive wie individuelle Gedächtnis.
Und, so wie das Erinnerungsfoto nicht mehr auf Fotochemie basiert, sondern digital montiert, manipulierbar, kalkulierbar ist und kein notwendiger Auszug, keine indexikalische Spur des Vergangenen und des Zeitlichen, so ist Gegenwart demnach keine ontologische Qualität, sondern der ´kybernetische Zustand einer Aktualität´.
Doch, um die Funktion, die Modalitäten und Modi der Erinnerung am Ende dieser Überlegungen nicht in den Medienkanälen aufgelöst zu suchen, der Versuch einer kurzen Gegen-Analyse, einer komplementären Überlegung. Von jeher formuliert sich die Gedächtniskunst, die Medien der Memoria „von Simonides von Keos bis zum Megabyte als Weg zur Mechanisierung, Maschinisierung, Elektronisierung, jedenfalls als Weg einer Auslagerung, einer Veräußerlichung”20.
Wie ich bereits oben versucht habe zu argumentieren, ist es die Re-Lektüre, die (Neu-)Verkettung der Bilder des Vergangenen, also, wie die Bilder für das Subjekt anschlussfähig sind, ob und inwieweit gegenwärtige Bilder Erinnerung evozieren, Vergangenheit(en) zu formulieren in der Lage sind. Wenn die Referenz nun im mentalen Apparat des Betrachters mittels einer prozessualen, einer projektiven Erinnerungsleistung formuliert, gar generiert wird, dann tritt die ´Herkunft´ der Bilder sowie auch deren Verweis und Bezug zu und auf ein Medial-Äußeres, das so nicht mehr gedacht werden kann, zunehmend in den Hintergrund. Erneut mit Luhmann hieße dies, dass das archivische Lagern keine Modalität des Gedächtnisses ist, so wie die archivischen Texte selbst nicht aus sich heraus als Gedächtnis fungieren können. „Sie sind nur Artefakte, nur Möglichkeiten der memoriellen Konsistenzprüfung. Ob und wieweit sie in Funktion treten bleibt abhängig von der Autopoiesis des Systems”21. So stellt sich die Frage vorwiegend nach dem Zugriff, nach den Methoden und Strategien der (individuellen) Selektion und (Wieder)Aneignung. Wie bei Höpfner, so finden sich auch bei Kowalski Spuren einer versubjektivierenden Re-Lektüre. Einmal mittels performativ-prozessualem Feedback (Begehen, Reisen), ein anderes Mal mittels der (vermeintlichen) Arretierung der medial übertragenen ´Erzählung´, vielleicht könnte man auch sagen, mittels eines Rückmontierens des Analogen (manueller Download und Montage) in den Systemraum der digitalen Archive (Datenbank/Server). Erinnerung konstituiert und figuriert sich als re-entry der Mneme in die Abläufe und Prozesse der Kommunikation, als eine ´Re-Imprägnierung der Kommunikation´22, einer ´Wiederholung von sich selbst unter anderen Bedingungen´.23
1 vgl.: Jens Kiefer, Gedächtnis als kulturwissenschaftliches und literaturtheoretisches Problem , http://www.textem.de/133.0.html
2 Ebd.
3 vgl.: Reinhard Braun, can´t see nothing , in: cant´t see nothing , Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Wien, (Hg.): dreizehnzwei, 2005.
4 Hayden White, Das Ereignis der Moderne , in: Eva Hohenberger, Judith Keilbach (Hg.), Die Gegenwart der Vergangenheit , Verlag Vorwerk 8, Berlin 2003, S. 204.
5 Linda Williams, Spiegel ohne Gedächtnisse , in: Ebd., S. 42.
6 Christa Blümlinger, Sichtbares und Sagbares , in: Ebd., S.92.
7 Linda Williams, Spiegel ohne Gedächtnisse, in: Ebd., S. 39.
8 vgl.: Gunnar Schmidt, Zeit des Ereignisses – Zeit der Geschichte, Am Beispiel der Multiperspektivität , 2003, http://www.medienaesthetik.de/medien/zentrorama.html
9 Paul Virilio, Die Sehmaschine , Berlin: Merve Verlag, 1997, S. 78.
10 Christa Blümlinger, Sichtbares und Sagbares , in: Eva Hohenberger, Judith Keilbach (Hg.), Die Gegenwart der Vergangenheit , Verlag Vorwerk 8, Berlin 2003, S.91.
11 Linda Williams, Spiegel ohne Gedächtnisse , in: Ebd., S. 33/36.
12 vgl.: Peter Matussek, Erinnerung und Gedächtnis , in: Böhme, Hartmut/Matussek, Peter/Müller, Lothar: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will ; Reinbek bei Hamburg 2000, S. 147-164., http://134.99.170.80/~pm/Pub/A_29.html
13 Drehli Robnik, Körper-Erfahrung und Film-Phänomenologie , in: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Film Theorie , Mainz, Theo Bender Verlag, 2003, S. 65.
14 vgl.: Jens Kiefer, Gedächtnis als kulturwissenschaftliches und literaturtheoretisches Problem , http://www.textem.de/133.0.html
15 vgl.: Reinhard Braun, Systeme-Schein und Effekte medialer Präsenzen , in: Reflexionen. Zu Kunst und neuen Medien , Triton Wien, 1993, http://braun.mur.at/texte/systeme_0593.shtml
16 Michael Wetzel, Das Bild und das Visuelle , in: B. Naumann/E. Pankow (Hg.): Bilder-Denken. Bildlichkeit und Argumentation , München, 2003, S. 174.
17 Paul Virilio, Die Sehmaschine , Berlin: Merve Verlag, 1997, S. 137.
18 vgl.: Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive , Merve, Berlin, 2002.
19 vgl. Michel Foucault,, Archäologie des Wissens , Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1997 (1969).
20 Jens Kiefer, Gedächtnis als kulturwissenschaftliches und literaturtheoretisches Problem , http://www.textem.de/133.0.html
21 Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, F. a. Main, 1990, S. 159.
22 Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, F. a. Main, 1998., S. 271.
23 Dirk Baecker, Überlegungen zur Form des Gedächtnisses , in: Siegfried J. Schmidt (Hg.), Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung, F. a. Main, 1991, S. 359




