film

Optical Vacuum


Optical Vacuum
Text: Dietmar Kammerer

Nirgendwo wird die Rede vom “panoptischen Zeitalter”, von einem Auge, das alles erfasst und selbst unfassbar bleibt, deutlicher, als in eben dem Medium, das Allgegenwart und Flüchtigkeit im globalen Maßstab umgesetzt hat: das Internet. Im Netz wird das bisherige Paradigma unserer bildgebenden Apparate hinfällig: Keine singuläre Zentralperspektive mehr, sondern Myriaden von Blickwinkeln, übertragen aus Webcams, die pausenlos Bilder in den digitalen Datenstrom pumpen. So ist das “Vakuum” im Titel von Dariusz Kowalskis 55-minütigen filmischen Essay keine Leere, sondern ein mächtiger Generator, eine unablässige Verdoppelung der Welt ins Bild.
Was so entsteht, ist eine Überwachung, die ihren alten Wortsinn wieder spürbar werden lässt: die Über-Wachheit, die Halluzinationen erzeugende Anstrengung, die ein Auge erleidet, das weder blinzelt noch schläft. Über Jahre hat Kowalski Bilder aus dem Strom gefischt, die wie eine Flaschenpost für niemanden gedacht waren und die jeder empfangen konnte. Wie Traumbilder gleiten sie an uns vorüber, ein oneirisches Panoptikum, in dem mitunter Momente irritierender Schönheit sichtbar werden.
Die Errettung der physischen Realität, die Kracauer sich noch vom Kinematographen erhoffte, hier geschieht sie als Aufnahme in die unermesslichen Archive des Cyberspace. Optical Vacuum eröffnet mit Ansichten endloser Reihen von Rechnern, den Bildspeichern des Internet. Wie die Gartenlandschaften des höfischen Zeitalters folgen diese Serverparks einer strengen Geometrie, und auch sie vermitteln die Erfahrung der Welt durch das Sehen.
Später zeigt Kowalski uns Winterlandschaften, Waschsalons, Arbeitsplätze, Spieltische. Das vom Künstler Stephen Mathewson eingesprochene Tagebuch eines Jahres liefert dazu das Protokoll einer Einsamkeit in einer Welt, die Menschen nur noch als flüchtige Schemen vor immergleichem Hintergrund kennt.

Optical Vacuum
Text: Dietmar Kammerer
Translation: Lisa Rosenblatt

Nowhere else is talk of the “panoptic era”– an eye that sees everything yet remains elusive – clearer than in the medium that has taken omnipresence and fleetingness to a global scale: the Internet. On the Internet, the paradigm known thus far for our imaging apparatus has become invalid: there is no longer a single, central perspective, but instead, a myriad of viewing angles that broadcast over webcams, pumping incessant images into the digital data stream. The “vacuum” in the title of Dariusz Kowalski’s 55-minute cinematic essay is therefore not a void, but a powerful generator, an unremitting doubling of the world: in image.
This brings forth a type of surveillance that also has the traces of the word’s original meaning: to watch over, sur (over) veillance (watch), a hallucination-generating feat suffered by the eye that neither blinks nor sleeps. Kowalski spent years fishing pictures from the stream, pictures intended as a message in a bottle for no one in particular, available for everyone. They glide by us like dream images, an oneiric panopticon within which moments of disturbing beauty become visible.
The salvation of physical reality, which Kracauer had hoped for from cinematographers, occurs here as a recording in the immeasurable archive of cyberspace. Optical Vacuum opens with views of an endless series of computers, the Internet’s picture storehouses. Like the garden landscapes of the courtly era, these server parks follow a strict geometry, and they, too, mediate the experience of the world through seeing. Later, Kowalski shows us winter landscapes, wash salons, workplaces, game tables. A diary written over the course of a year spoken by artist Stephen Mathewson adds in a protocol of a loneliness suffered by people in a world that they know only as fleeting schemes against a never-changing backdrop.


Optical Vacuum
Text: Claudia Slanar

Ein Vakuum bezeichnet einen luftleeren Raum. Ein optisches Vakuum würde demnach eine optische Leere bezeichnet, eine schwarze Fläche oder eine weiße – „blank“ – leer jedenfalls, mit nichts auf ihr, das den Gesetzen der Optik gehorcht.
Optical Vacuum beginnt genau damit: ein schwarzes Bild, eine Stimme hebt an: „So, I’m  a painter and I am painting pictures.“ Sie spricht weiter davon, wie Bilder gemalt werden und, wenn sie fertig sind, nichts anderes als „blank canvas“ sind, leere Leinwände, die mit Bedeutung gefüllt werden (können) und im Arbeitsprozess zum nächsten Bild führen.
Auf diese bildlose Sequenz folgen Bilder aus Überwachungskameras, die der Regisseur Dariusz Kowalski aus dem Internet geladen, und sich durch Montage, Wiederholung und Zeitraffer angeeignet und geordnet hat. Öffentlicher Raum – Straßen, Parkplätze – wechselt mit halböffentlichem ab – Lobbies, Lounges, Räume mit Reihen von menschenleeren Computerarbeitsplätzen und den Spinden von Serverparks: das allgegenwärtige Auge einer Apparatur scheint sich zu Beginn selbst zu beobachten.
Die Stimme hebt wieder an und trägt die Daten von Tagebucheintragungen vor. Währenddessen hat ebenso der Score eingesetzt, der in unterschiedlicher Intensität durch den Film tragen wird. Durch diese Tonspur werden die Bilder der Überwachungskameras, die vermutlich weder zum privaten Gebrauch bestimmt waren, noch in ihrer automatischen, keiner Ordnung folgenden Generierung von irgendetwas erzählen sollten, zu Bildern von Mikronarrativen. Aneignung und Übertragung in ein anderes Medium – Video, trotzdem filmischen Kategorien folgend – machen sie zu Hybriden, in denen die unterschiedlichsten Diskurse aufeinander treffen. So erzählen sie vom Gegensatz zwischen realem und filmischen Raum, oder einer rein filmischen Dauer, wenn sie die Stadien eines Spielverlaufs an Pokertischen zeigen oder einen Mann im Laundromat beim Wäschewaschen und der Arbeit am Computer.
Die Neuverkettung der Bilder räumt ihnen einen anderen Status ein – das Banale, das Alltägliche wird plötzlich spektakulär, „das Interessante an jederlei Uninteressantem“ (Jaques Rancière) wird enthüllt. Dazu trägt nicht zuletzt die Tonspur bei, die sich nur teilweise autonom zur Bildspur verhält. Sie besteht aus einer Gemengelage von Musik, Geräuschen und einer Stimme, die hier wiederum einen Sonderstatus einnimmt. So klassisch sich der elektronische Score zum Bild verhält – gespeist aus Elementen im Bild, die die abstrahierten Töne und Geräusche durchaus generieren könnten, teils illustrativ, teils atmosphärisch – so eigenwillig und völlig unabhängig verhält sich die Stimme dazu. Manchmal gibt es thematische Überschneidungen zwischen Text und Bild, die jedoch so präzise und prägnant aufeinander „zugeschnitten“ werden, dass die Konstruiertheit dieser Verbindung nur noch stärker hervortritt.
Fast könnte man sagen, dass „zwei autonome Schienen in ein destruktives Verhältnis zueinander treten.“  Das Bild, zuvor von unserem Wissen um Beliebigkeit, Flüchtigkeit und Unendlichkeit des Datenstroms aus dem Internet geprägt, erhält eine neue „Dichte“ .
Die Stimme von Stephen Mathewson, die Exzerpte seiner eingesprochenen Tagebücher, verleiht den Bildern „ihre Unterschrift“ , drückt ihnen quasi ihren Stempel auf und lässt uns nach verborgenen Bedeutungen oder neuen Korrespondenzen suchen. „Sie (die Stimme) bestimmt die Richtung und mit ihr den Faktor der Zeit. Sie löst von der Präsenz der Bilder ab und ist beweglicher als diese.“  Und doch verliert „das Akusmatische“ (Michel Chion)  – die nicht im Bild anwesende Stimme – im Fall von Optical Vacuum ihre Allmacht, da sie nie die Bilder kommentiert, nie zu einer Rede oder einer Aussage ansetzt, sondern in ihrem eigenen Raum, im akustischen Off bleibt und dort ihre eigenen Narrative generiert; Arbeitsgeräusche, ein Schmatzen, im Hintergrund abgespielte Popsongs. Nur einmal rücken diese zwei Schienen, das visuelle Bild mit seinem Score und das Akustische zusammen: als Mathewson von der Absicht spricht, ins Aufnahmestudio zu gehen und dann einen Song einspielt, der den akustischen Raum von Optical Vacuum ganz für sich einnimmt. Hier scheint nur für einen kurzen, aber umso eindringlicheren Moment eine Lücke geschlossen zu sein.
Danach prallen die unterschiedlichsten Bedeutungssysteme umso stärker aufeinander und
generieren assoziative Ketten: Aneignung als Prozess des Filmemachens, die Faktizität des Gezeigten (oder unser Glaube daran) oder die „zufällige Schönheit“ bestimmter Aufnahmen von Landschaften, die ihren Charakter durch Tages- und Jahreszeiten sowie Wetterverhältnisse ändern – wie wir sie bereits aus den Vorgängerfilmen von Kowalski, Luukankaangas – updated, revisited von 2004 und Elements von 2005, kennen.
Je „belebter“ durch Menschen die Bilder werden, desto mehr werden uns die Blickregime bewusst, die das „optische Vakuum“ füllen: Zooms und Schwenks lassen an der Zufälligkeit der Aufnahmen zweifeln – ein Zoom aus einem Fenster auf ein Paar am Schulhof, das sich verabschiedet und küsst; der Blick auf Gesicht und Dekolletee einer Radiomoderatorin im Aufnahmestudio, ein Pärchen am Strand, bei dem die Kamera immer wieder auf den Oberkörper der Frau und ihr lose umgehängtes fokussiert.
Das Maschinenauge ist nicht nur ein möglicherweise präziseres und eines, das Blickwinkel, die bis dato nicht möglich waren, realisieren kann, es ist ein Bedrohliches. Es scheint mit einem Bewusstsein zu agieren: das Unheimliche an der Apparatur und an der Maschine (das wir aus unzähligen Science-Fiction-Horrorszenarios kennen) offenbart sich.
Gleichzeitig werden dadurch Fragen bezüglich unserer Wahrnehmung dieser Bilder aufgeworfen: Ist es die Apparatur, die den voyeuristischen Blick generiert oder unser Blick, der diese Bilder, und damit uns selbst als voyeuristisch entlarvt? Ist es die Handschrift eines Regisseurs, der uns ebenso die Konkretheit von Objekten und Strukturen zeigt, die allem innezuwohnen scheint?
Zwischen den sich selbst – gleich einem optischen Rauschen – perpetuierenden Bildern und der Ordnungsfunktion der Tagebucheintragungen bleiben wir nur mit der Sicherheit zurück, dass es kein optisches Vakuum geben kann. Nur etwas „Drittes“ zwischen Ton und Bild, das von der Unmöglichkeit einer Korrespondenz zeugt. „How interesting is that to you?“, fragt die quengelig-verschlafene Stimme Mathewsons kurz vor Ende des Films, um sich gleich darauf selbst die Antwort zu geben: „An inappropriate question.“